Senad Halilbasic in Bosnien und Herzegowina

15.07.2016

Für seine Dissertation "Bosnisch-herzegowinisches Theater 1992-1995" war der Doktorand Senad Halilbasic in Bosnien und Herzegowina, um Gespräche mit ZeitzeugInnen zu führen und Primärquellen zu sichten.

  • Warum haben Sie sich für einen Auslandsaufenthalt in Bosnien und Herzegowina entschlossen? Inwiefern war dieser für Ihre Forschung wichtig?


In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit dem Theater während des Bosnienkrieges 1991/92-1995 und fokussiere mich dabei auf die jeweilige Funktion von institutionellem Theater in den Städten des Landes. Erstmalige Grundlagenforschung bildet dabei einen wesentlichen Bestandteil meiner Arbeit. In Bosnien und Herzegowina gibt es keine nennenswerten Theaterarchive oder sonstige katalogisierte und geordnete Theatersammlungen. Deshalb kann man sich meine Arbeit als eine Form von Spurensuche vorstellen, die ein mosaikartiges Bild des Theaterschaffens während des Kriegs zu rekonstruieren versucht. Die Sammlung von Informationen und Primärquellen (wie Bilder, Videos, Strichfassungen, Programmhefte, Tagebücher, Notizen etc.) kann nur vor Ort stattfinden. Ebenso unerlässlich ist das Führen und Aufzeichnen von Gesprächen mit ZeitzeugInnen, die später transkribiert, ausgewertet und miteinander nach Methoden der Oral History verglichen und analysiert werden. Während das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien die Basis meiner Forschung, Lehre und publizistischen Tätigkeit bildet, liegt das zu konstituierende Material im Ausland. Somit sind regelmäßige Aufenthalte in Bosnien und Herzegowina unerlässlich. Im ersten Halbjahr 2015 fokussierte ich mich dabei auf die herzegowinische Stadt Mostar, die in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen 1993 und 1995 von einer Zweiteilung in einen bosniakischen und einen kroatischen Teil geprägt war. Während LaienschauspielerInnen auf der Ostseite der Stadt das zuvor gemeinsame (jugoslawische) Nationaltheater durch regelmäßige Aufführungen am Leben erhielten, gründeten kroatische Ensemble-MitgliederInnen im Westen das „Kroatische Volkstheater“ mit einer Fokussierung auf kroatische Sprache, Kultur und Tradition. Das Trennende trat an die Stelle des Einenden. Kulturpolitische Dynamiken, sprachliche und ästhetische Prozesse sowie die Erinnerung an den bosniakisch-kroatischen Konflikt und dessen Auswirkung auf das Theaterschaffen stehen dabei im Fokus meiner Mostarer Recherchen.

  • Was ist Ihnen von Ihrer Zeit in Bosnien und Herzegowina besonders in Erinnerung geblieben? Was war besonders überraschend/aufregend?

Als jemand, der in Tuzla geboren ist und dessen Kindheit und Jugend von vielen familiären Aufenthalten in Bosnien und Herzegowina geprägt war, betrat ich mit meiner Forschung keineswegs Neuland. Sprache, Kultur und Mentalität sind mir bekannt. Überraschend war und ist für mich nach wie vor, wie unterschiedlich sich Theaterschaffende an ihre Tätigkeit während des Kriegs erinnern bzw. was sie mit der Erinnerung an diese Periode jeweils assoziieren. Während Theaterschaffende in Sarajevo mit einer gewissen emotionalen Distanz über das Geschehene sprechen und die Interaktion mit kunst- und kulturinteressierten Menschen aus dem Ausland bereits gewohnt sind, gestalten sich die Gespräche mit Menschen in historisch und kulturell vergleichsweise weniger erforschten Städten um sehr viel schwieriger und belastender. Nicht selten musste ich Interviews in Mostar kurzzeitig pausieren und in einem Falle sogar abbrechen, weil die Erinnerung an den Krieg für meine Gesprächspartner zu belastend war. In Sarajevo ist man es scheinbar gewohnt, internationalen Gästen und Forschern über den Krieg zu berichten. Dort scheint das Sprechen über das Theaterschaffen dieser Zeit um einiges leichter zu sein. In Mostar wiederum sprechen meine Gesprächspartner nicht nur erstmals über das Theaterschaffen der frühen 90er Jahre, sondern oft das erste mal über den Krieg an sich. Nicht selten werden Erinnerungen ans Theater zu Erinnerungen an den Krieg und damit verbundenen Schicksalsschlägen. Damit empathisch umzugehen und zugleich dabei die Forschungsfragen nicht aus dem Blick zu verlieren, ist eine große, jedoch spannende und lohnenswerte Herausforderung.

  • Haben Sie Tipps für andere DoktorandInnen für die Planung und Durchführung eines Auslandsaufenthaltes?

Jeder Auslandsaufenthalt sollte gründlich geplant und Termine weit im Voraus vereinbart werden. Ein großer Fehler, der mir zu Beginn passiert ist und den ich nun vermeide, ist es zu viele Termine an einem Tag zu vereinbaren. Insbesondere die Arbeit mit ZeitzeugInnen muss sich sehr flexibel gestalten – manche meiner Interviews dauern zwanzig Minuten, manche vier bis fünf Stunden. Egal ob man mit ZeigzeugInnen spricht oder in Archive Einblick nimmt: Je mehr Zeit für die einzelnen Arbeitsschritte im Ausland eingeplant ist, desto besser. Und apropos: Allen Forschenden, die am Balkanraum zutun haben empfehle ich, ein paar Puffertage einzuplanen. Nicht selten werden Termine um ein oder zwei Tage verschoben. So improvisiert und flexibel wie das Leben dort, gestaltet sich auch die Zeitplanung vieler meiner Gesprächspartner. Auch darauf muss man vorbereitet sein und reagieren können.

  • Senad Halilbasic erforscht in seiner Disseration institutionelle Theateraktivitäten während des Jugoslawien-Konflikts in Bosnien und Herzegowina zwischen 1992 und 1995. Dabei soll erstmalige Grundlagenforschung betrieben werden, die zunächst alle professionellen Theateraktivitäten in den Städten des Landes erhebt, in denen nachweislich während des Krieges Theater gespielt wurde. Das Forschungsprojekt wird durch das uni:docs fellowship Programm finanziert.

Senad Halilbasic. Aussicht von der Koski Mehmed Pasa Moschee auf Mostar