Wulf-Marten Frauen im Libanon

15.07.2016

Der Sozial- und Kulturanthropologe war für seine Dissertation "Vergangenheit als 'Eternal Present'. Eine lebensgeschichtliche Studie zu palästinensischen Flüchtlingen im Libanon" einige Monate auf Feldforschung in Shatila. Finanziert wurde der Aufenthalt über das Marietta Blau Stipendium.

  • Warum haben Sie sich für einen Auslandsaufenthalt im Libanon entschlossen? Inwiefern war dieser für Ihre Forschung wichtig?

Mein Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der palästinensischen Minorität im Libanon und ist im Fach Sozialanthropologie verortet. Da, wie nicht nur die Website unseres Institutes weiß, die intensive Feldforschung mittels der sogenannten „Teilnehmenden Beobachtung“ nach wie vor ein definierendes Merkmal unserer Disziplin ist und auch für meine Arbeit diese Methode sozusagen die Doppelhelix der Datengewinnung darstellt, stellte sich die Frage nach einem Auslandsaufenthalt eigentlich gar nicht – ohne diesen wäre die Arbeit gewisserweise eine kernlose Hülse. Daher komme ich an dieser Stelle nicht darum herum, mich noch einmal ganz explizit beim BMWF zu bedanken, ohne dessen Finanzierung das gesamte Vorhaben vermutlich gestorben wäre. Natürlich könnte man an dieser Stelle die Frage ein wenig verlagern und nach der Motivation für ein solches Projekt fragen. Hier gibt es natürlich eine Pluralität individueller Gründe und um den Rahmen nicht zu sprengen, soll hier nur einer wiedergegeben werden: Die in unserer menschlichen Natur zutiefst verwurzelte Grundkonstante genannt Neugier.

  • Was ist Ihnen von Ihrer Zeit im Libanon besonders in Erinnerung geblieben? Was war besonders überraschend/aufregend?

Ich denke, dass man die Arbeit in palästinensischen Flüchtlingslagern mit einer gewissen Berechtigung als ein verhältnismäßig schwieriges Forschungsfeld bezeichnen kann, da man es zum Teil mit Leuten zu tun hat, die sich individuell in einer sehr schwierigen Situation befinden. Besonders überraschend war für mich daher die ausgesprochene Herzlichkeit, mit der mich die meisten aufgenommen haben. Dabei ist es für viele nicht eben leicht nachzuvollziehen, warum man aus einem mitteleuropäischen Land in einige der ärmeren Teile des Libanon reist, um dort zu forschen. Ein älterer Palästinenser erzählte mir einmal im Hinblick auf eine Studentin aus Australien, welche offensichtlich eine Studie zur Abwasserentsorgung in Shatila durchführte, dass es doch keinen Sinn gebe, vom anderen Ende der Welt in den Libanon zu reisen, „…um zu erforschen, wie wir in Shatila scheißen!“ (Ich bitte um Entschuldigung für die Ausdrucksweise, es handelt sich hier um ein von mir übersetztes Zitat.) Das sich diese kleine Anekdote durchaus auch auf mich bezog, war mir natürlich klar.

  • Haben Sie Tipps für andere DoktorandInnen für die Planung und Durchführung eines Auslandsaufenthaltes?

Auch auf die Gefahr hin, hier Trivia wiederzugeben: Es lohnt sich wirklich, sich rechtzeitig vor Reisebeginn mit den geltenden Visabestimmungen vertraut zu machen. So ist es im Fall des Libanons bekannt, dass ein Visum ohne größere Umstände bei der Einreise zu bekommen ist. Dies ist zwar richtig, nur handelt sich es denn eben um ein Touristenvisum, welches jeden Monat verlängert werden muss. Diesen Ärger spart man sich, wenn man vor Reiseantritt bei der Botschaft um ein Studenten- oder Gastvisum ersucht, welches über mehrere Monate gültig ist. Ein persönlicher Tipp bezieht sich auf die Unterkunft. Wenn man einen Auslandsauenthalt in einem Drittweltland antritt, ist diese vom Standard her natürlich nicht mit einer Wohnung in Wien oder anderen großen europäischen Städten zu vergleichen. Mehrstündige Stromausfälle täglich etwa sind die Regel, nicht die Ausnahme. Natürlich gibt es Alternativen, wie etwa sich in einem Gästezimmer einer Partnerinstitution einzuquartieren. Ich kann hiervon nur ganz explizit abraten: Das mehr an Komfort bezahlt man mit einem weniger an Innenansichten, die man insbesondere denn erlangt, wenn man in einer Wohngemeinschaft (nicht mit anderen Ausländern versteht sich) unterkommt. Diese Erfahrungen sind im Endeffekt unbezahlbar – auch wenn kalt duschen im Dunkeln insbesondere im Winter wirklich keinen Spaß macht.      

Wulf-Marten Frauen mit zwei Kindern in einem Jugendzentrum in Shatila