Nicole Kandioler in Amsterdam

15.07.2016

Die Film- und Medienwissenschafterin Nicole Kandioler verbrachte einen einjährigen Forschungsaufenthalt als Marietta Blau-Stipendiatin an der Amsterdam School of Cultural Analysis.

  • Warum haben Sie sich für einen Auslandsaufenthalt an der Amsterdam School of Cultural Analysis entschlossen? Inwiefern war dieser für Ihre Forschung wichtig?

Meine Vollzeitanstellung als Senior Scientist am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien ließ mir wenig Zeit, nennenswerte Fortschritte mit meiner Dissertation zu machen. Daher entschloss ich mich im Frühling 2013 für eine Bewerbung als Marietta Blau-Stipendiatin und ließ mich von meiner Stelle an der Universität Wien freistellen. Die Wahl fiel auf die Amsterdam School of Cultural Analysis (ASCA) mit ihrem interdisziplinären und internationalen Forschungsansatz. Während meines Doktorats waren mir mehrere der dort ansässigen Wissenschafterinnen in ihren Texten begegnet und insbesondere die Theoriekontexte der von Mieke Bal 1993 begründeten „Schule“ waren schon für eine erste Profilierung meiner Dissertation wesentlich. Außerdem schien es mir verlockend, meine Arbeit über osteuropäischen Film und Fernsehen an einem Ort zu schreiben, an dem Assoziationen zu diesem Thema zwar geographisch und historisch nicht naheliegen, aber gerade im Forschungsbereich sehr stark vertreten ist. Amsterdam wird für mich daher immer ein bisschen im Osten liegen.

  • Was ist Ihnen von Ihrer Zeit an der Universiteit van Amsterdam besonders in Erinnerung geblieben? Was war besonders überraschend/aufregend?

1. Die Selbstverständlichkeit der englischsprachigen Kommunikation in einem Seminar, an dem Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus nicht weniger als zwölf verschiedenen Ländern und drei verschiedenen Kontinenten partizipierten. Diese Selbstverständlichkeit galt auch für alle Lehrenden, die mir begegnet sind.

2. Die Schreibtische in unseren Arbeitszimmern, die mit ihren historischen Schichten von Kopien, verstaubten Büchern, Schreib- und Denkwerkzeugen eine Archäologie der ASCA-Fellows abbildeten, die in den letzten zehn Jahren Teil des Forschungsprogramms waren. Die Präsenz der historischen und der gegenwärtigen „Peers“, die in einer Art ätherischen Konzentration spürbar war, regte dazu an, sich ganz und gar in die eigene Forschung zu vertiefen.

3. Die Serviceorientiertheit der Universitätsbibliotheken, die wiewohl über die ganze Stadt verstreut, die stete Zirkulation der Bücher möglich machen, sodass man selbst von einem einzigen Standort fast alle Bücher ausfassen kann!

4. Amsterdam. Die Anordnung und die Infrastruktur der Stadt, die die Bewegung zwischen den neuralgischen Punkten (Universität, Filmmuseum, Kinos und öffentliche Bibliothek – ein fantastischer Lese- und Denkort in der Nähe der Centraal Station) zu einem harmonischen Fließen (holl. „fietsen“ für „Fahrrad fahren“, natürlich!) macht. Man bekommt den Eindruck vermittelt, als würde alle Welt hier Urlaub machen, während man selbst – in selbst gewählter geheimer Mission – sich unheimlich fleißig vorkommt.

  • Haben Sie Tipps für andere DoktorandInnen für die Planung und die Durchführung eines Auslandsaufenthaltes?

Die eigenen Arbeitsroutinen, Fähigkeiten, Energiereserven, Ressourcen, Bedürfnisse, Enthusiasmen und Widerstände schon in der Planung des Aufenthaltes berücksichtigen: es ist nicht so, dass man das Stipendium als neuer Mensch antritt, das alte(r) Ego kommt mit. Freie Wochenenden und freie Phasen als "must" einplanen - dann zischen die Arbeits- und Wochentage umso mehr!

  • Nicole Kandioler studierte Romanistik und Slawistik an der Universität Wien. Derzeit schreibt sie im Bereich der Film-, Fernseh- und Kulturwissenschaft unter dem Arbeitstitel "(Mis-)framing Nostalgia. Double features aus dem osteuropäischen Film und Fernsehen" an ihrer Dissertation.

Nicole Kandioler mit ASCA-Fellows in Amsterdam.